Interview mit Dr. Ulrike Lehmann, ART | COACHING – für Miss Moneypenny, Tamara Krieger, Dez. 2020
- Welche Rolle spielt Kunst in einem Büroumfeld?
Vor über 100 Jahren haben erste Firmen erkannt, dass Kunst in Büros, Fluren und Foyers die Arbeitsumgebung aufwertet. Insbesondere seit den 70er Jahren begannen Unternehmen und Banken zu sammeln. Seit einigen Jahren werden Büros im Kontext von New Work umgestaltet zu reinen Wohlfühloasen. Besonders in Zeiten innovativer Bürokonzepte vermag es die Kunst, diese inspirierende Wohlfühlatmosphäre zu unterstützen. Sie wertet die Arbeitsumgebung um ein vielfaches auf.
Kunst in Büros, Fluren und Besprechungsräumen trägt zur Wohlfühlatmosphäre bei, denn Mitarbeiter fühlen sich tatsächlich wertig innerhalb dieser wertigen Büroausstattung. Dies liegt nicht primär am Preis eines jeden Kunstwerks (der den meisten Mitarbeitern sicher unbekannt ist), sondern an der Originalität und Einzigartigkeit der Kunst, ihrer Farbigkeit und Materialität. Kunst ist im Vergleich zu allem anderen, was im Büro ist, etwas Besonderes und das strahlt indirekt auf die Mitarbeiter aus. Weiße Wände bieten nichts, sie bieten allenfalls die Stirn und gähnende Leere. Ohne die Anwesenheit von Kunst ist der Raum unvollständig. Bilder und Objekte sind ein Hingucker, sie sind ein visueller Anker, der dem Betrachter mal eine kurze sinnliche Pause von der Arbeit gönnt und das Denken wieder auf andere Pfade und Ideen bringen kann. Kunst geht daher auch im Arbeitsumfeld weit über die Dekoration hinaus.
- Welchen Einfluss hat Kunst auf die Mitarbeiter und warum?
In der neuen Arbeitswelt geht es um den Menschen als Ganzes, um seine Talente, Fähigkeiten und Neigungen, also nicht mehr nur um seine beruflichen Skills. Firmen sind heute bemüht, die Mitarbeiter ganzheitlich zu fördern. Mit Kunst können Potenziale wie Kreativität und Kommunikation geweckt und gefördert werden.
Gerade Künstler haben in der Corona-Krise durch neue Projekte gezeigt, wie Not erfinderisch macht und Energien freisetzt. Und was können Führungskräfte daraus lernen? Sie können sich von der Kunst inspirieren lassen und so Denkmuster aufbrechen – durch Kreativität.
Kreativität gilt laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums in Davos inzwischen als drittwichtigster Softskill von Managern und ist als Wettbewerbsvorteil entscheidend für den Erfolg von morgen. Kreativität und Innovationen sind das neue Gold.
Die gute Nachricht ist: Kreativität ist trainierbar. Durch Kunstbetrachtung geht das am besten. Denn Kunst ist der beste Kreativmotor, um Kreativität zu fördern, weil sie alles bietet, was man für Kreativität braucht. Sie zeigt den Mut, Neues auszuprobieren, auf den Kopf zu stellen oder umzudrehen. Sie fördert das visuelle Denken, die Vorstellungskraft. Kunst inspiriert. Wer sich mit ihr beschäftigt, kann lernen, anders zu denken. Kunst weckt die Neugier. Und Kunst kann noch mehr: Sie erleichtert Kommunikation, ermöglicht sich und andere besser zu verstehen.
Kunst kann Kommunikation. Sie ist per se visuelle Kommunikation. Für Herz, Seele und Verstand ist sie ein Dooropener. Sie emotionalisiert und ermöglicht es, miteinander über das Werk ins Gespräch zu kommen.
Teams, die sich vor ein Bild stellen, beginnen sich auszutauschen – und zwar über ihre Arbeit hinaus. Man stellt Fragen, hört dem anderen zu, lernt sich dabei näher kennen und erkennt, welche Sichtweisen der andere hat. Das führt im besten Fall zu Toleranz und Wertschätzung des anderen. Eine gemeinsame Bildbetrachtung ist beste Teamarbeit, weil jede Meinung und Interpretation zählt, auch wenn sie noch so abwegig erscheint. Denn in der Kunst gibt es kein richtig oder falsch. Sie ist darüberhinaus noch international und kennt keine geografischen Grenzen. Daher ist Kunstbetrachtung auch und gerade für ein internationales und generationenübergreifendes Team bestens geeignet.
Das Kunstwerk per se ist ein nonverbaler „Gesprächspartner“, mit dem der Betrachter einen „Dialog“ führt. Kunst eignet sich dazu, mit anderen das Gesehene zu teilen oder auch zu überprüfen und zu ergänzen. Nicht alle Betrachter sehen alles und nicht alle sehen das Gleiche, obwohl es sich um dasselbe Werk handelt. Das alte Kinderspiel „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ kann hier auf sinnvolle Weise zum Leben erweckt werden.
Sich Zeit nehmen, Timeout und Work-Life-Balance
Der Kunst näher zu kommen bedarf einer längeren Verweildauer, die gut tut und durchaus auch zur Work-Life-Balance beiträgt. Sich ein Bild anzuschauen heißt auch, sich eine Auszeit zu nehmen, tief einzutauchen in eine andere Welt.
- Steigert Kunst die Produktivität?
Über den rein inspirierenden Faktor hinaus können professionell angeleitete Kunstbetrachtungen mit ausgewählten Kunstwerken die Produktivität steigern. Hierbei werden bestimmte Methoden und Techniken angewendet. Jedoch eignet sich nicht jede Kunst und jedes Bild für die Steigerung der Produktivität. Gute Kunst, die nicht nur Dekor ist, sondern vielschichtige Interpretationen zulässt, wirkt förderlich auf die Motivation, Inspiration und damit auch auf die Produktion.
- Was kann die Wirtschaft von der Kunst lernen?
Die Wirtschaft, sprich Manager und Führungskräfte, können durch Kunst lernen, eine andere Sichtweise auf die Dinge, einen Perspektivwechsel einzunehmen. Denn Künstler wagen etwas. Sie lassen auch Fehler und Zufälle zu. Für die Wirtschaft ist eine Fehlerkultur sicher hilfreich, da man aus Fehlern bekanntlich lernt. Und durch Zufälle sind schon viele Innovationen entstanden.
Kunstwerke sind Ausdruck von Visionen, sie brechen Regeln, gehen neu und anders mit Material um und zeigen, wie es auch anders gehen kann, raus aus dem Alltagstrott hin zu freierem Denken ohne Limit.
Künstler und Manager haben mehr gemeinsam, als man vordergründig annimmt. Beide besitzen die Fähigkeit, ihrer Zeit voraus zu sein und gestalterisch zu handeln. Sie hinterfragen das Bestehende, um zu neuen Lösungen zu kommen. Mit Kunstbetrachtung kann man lernen, sich durch Fragen anzunähern an das, was der Künstler beabsichtigt hat. Fragen sind die Voraussetzung für Innovationen.
Die Wirtschaft ist zahlengetrieben, ziel- und erfolgsorientiert. Zentral im künstlerischen Prozess ist aber Ergebnisoffenheit, Risiko- und Experimentierfreude. Am Ende stehen dennoch gute Ergebnisse da in Form von Kunstwerken. Die Wirtschaft braucht solche Spielwiesen und Möglichkeiten, sich auszuprobieren jenseits von Routine. Auch das kann sie von Kunst lernen. Dazu braucht es nur Mut und Neugier.